Erster regionaler parlamentarischer Abend in Heilbronn zum Thema „Maßnahmen gegen Fachkräftemangel in der Pflege“

Rund einhundert Teilnehmer fanden sich am Valentinstag in den Räumlichkeiten der IHK Heilbronn-Franken ein, um am ersten regionalen parlamentarischen Abend teilzunehmen.

Als Organisator gelang es dem Pflegenetz Heilbronn e.V. in der Zusammenarbeit mit der Xpert cooperation und durch Förderung des VMDU (Verein der Mittelständischen Dienstleistungsunternehmen e.V.), kurzfristig einen offenen Dialog zwischen hochrangigen Politikern und Vertretern aus der Pflegepraxis zum Thema „Maßnahmen gegen Fachkräftemangel in der Pflege“ zu initiieren. Neben dem Landesvorsitzenden der CDU Baden-Württemberg MdB Thomas Strobl nahmen die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, MdB Annette Widmann-Mauz (CDU) sowie MdB Josip Juratovic (SPD), MdB Pascal Kober (FDP) – beide Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales – und der Vizepräsident des VdK Deutschland Roland Sing teil. Wissenschaftlich untermauert wurde die Diskussion durch Prof. Dr. Wendelin Schramm von der Hochschule Heilbronn. Das Programm moderierte der Tübinger Theologe Dr. Armin Kutscher.

„Das Thema Pflege ist eine der großen Herausforderun­gen unserer Zeit“, mahnte Thomas Strobl in seiner Begrüßungsrede, denn dort zeige sich der „Fachkräftemangel“ am deutlichsten. Begegnen könne man diesem Problem nur durch einen ausgeprägten Dialog zwi-schen allen Beteiligten. Diese Aufforderung griff Andreas Haupt als Vertreter des Pflegenetzes Heilbronn dankbar auf, schließlich arbeite man dort bereits seit einem Jahrzehnt unermüdlich gemeinsam an Problemlösungen.

Nicht zuletzt deshalb zeigte sich Annette Widmann-Mauz begeistert von dem Engagement des Pflegenetzes. Aus „absoluter innerer Überzeugung“ habe sie dieser Veranstaltung zugesagt, da man hier „optimistisch zupackend“ die Zukunft der Pflege gestalte, um der Herausforderung des demographischen Wandels zu begegnen. Dem steigenden Bedarf an medizinischer Versorgung und Pflege stehe nämlich nicht immer das entsprechende Angebot an Fachkräften zur Verfügung, auch wenn die Altenpflege den drittgrößten Ausbildungsberuf im Rahmen des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) stelle. Dabei zeichne- ten sich gerade Altenpflegerinnen und Altenpfleger durch ihr enormes Berufsethos und eine starke Bindung an ihre Arbeitsstellen aus. Die Bundesregierung verfolge darum das Ziel, die hohe Qualität der Pflege im Interesse der pflegebedürftigen Menschen zu sichern.
Dazu sieht Annette Widmann-Mauz ein Bündel von Maßnahmen vor, zu dem die „Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege“, das Pflegeneuordnungsgesetz sowie die Pflegetransparenzvereinbarung zählen. Außerdem versuche man die Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit zu verbessern, Bürokratie zu minimieren und die Kompetenzen der Pflegenden besser auszuschöpfen. Der Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland steht Widmann-Mauz, wenn auch nicht ablehnend, so zumindest kritisch gegenüber – zuerst müsse man „die Hausaufgaben im eigenen Land machen“.

Im Anschluss daran referierte Prof. Dr. Wendelin Schramm über die konkreten Auswirkungen des demographischen Wandels. Wenngleich das Problem des Bevölkerungsschwundes durch den Rückgang der Geburtenrate in Baden-Württemberg und besonders Heilbronn nicht allzu gravierend erscheine, blieben diese Regionen keinesfalls von den Folgen der gesellschaftlichen Überalterung verschont. So sagt die Prognose des statistischen Bundesamtes für den Anteil der Pflegebedürftigen an der Gesamtbevölkerung einen Anstieg auf bis zu fünf Prozent innerhalb der nächsten zwanzig Jahre voraus. Für diese Pflegebedürftigen müssten dann deutlich mehr Fachkräfte als heute zur Verfügung stehen. Gleichzeitig würden die Kosten des Gesundheitssystems ansteigen, was ein Überdenken von Kosten-Nutzen-Relationen und somit die Suche nach neuen Pflegekonzepten dringend notwendig mache. Überaus wichtig sei dabei, so Schramm, die Abkehr von der Förderung einer reinen Reparaturmedizin hin zu einer gezielten Krankheitsprävention in einem berufs- und sektorenübergreifenden Versorgungssystem.

Diesem Appell schloss sich der Sozialdemokrat Josip Juratovic an. Außerdem dürfe die Politik nicht einfach auf ehrenamtliches Engagement spekulieren – vielmehr solle das Ehrenamt eine „wichtige Ergänzung“ einer ausreichend finanziell geförderten Gesundheitspolitik bleiben. Es gelte, die hohe berufliche Verantwortung der Pflegenden angemessen zu würdigen.

Der Freidemokrat Pascal Kober betonte hingegen, dass der Pflegesektor Teil des gesamten Arbeitsmarktes sei, der grundsätzlich mit dem Problem Fachkräftemangel zu kämpfen habe. Als Lösung postulierte er fünf „Sicherungspfade“ unter den Stichworten „Integration von Arbeitssuchenden und Älteren“, „Frauenbeschäftigung“, „Zuwanderung sowie Aus- und Wei- terbildung von Fachkräften“.

„Wir sind eine insgesamt älter werdende Gesellschaft“, mahnte Roland Sing zu Anfang seiner Stellungnahme. Um dieser Herausforderung zu begegnen, müsse man nach neuen Pflegestrukturen suchen. Das Pflegenetz Heilbronn sei hierbei eine Antwort auf die Frage, was man an althergebrachten Strukturen aufbrechen könne. Dazu zähle, dass man ambulante, teilstationäre und stationäre Pflege verbinde, das Älterwerden in den eigenen vier Wänden begünstige und den Pflegekräften die Wertschätzung entgegenbringe, die sie verdienen. Da es immer mehr Schwerpflegebedürftige gebe, müssten gleichsam neue Technologien gezielt gefördert werden, um die teils „vorsintflutlichen“ Dokumentations- und Verwaltungstechniken abzulösen.

Nach diesen zahlreichen Anregungen hielt Moderator Dr. Armin Kutscher die Teilnehmer an, sich auf acht verschiedene Informationsstände zu verteilen, um dort mit Vertretern von Projekten zu den Themen „Entbürokratisierung“, „Vernetzung“, „Dokumentation“, „Ressourcengewinn“ und „Migration“ zu diskutieren. In den lebhaften Gesprächen zwischen Politikern und Repräsentanten der Pflegeberufe konnten aber keinesfalls alle Fragen restlos beantwortet werden. Es bleibt der Wunsch nach Anerkennung guter Pflege, nach höheren Investitionen und einem besseren Verhandlungsklima mit den verantwortlichen Stellen, nach einer größeren Wertschätzung des Pflegeberufs und mehr Selbstbestimmung.

Die Politiker Kober, Juratovic und Widmann-Mauz versprachen, die gewonnenen Anregungen und Erkenntnisse nach Berlin zu tragen, um weitere Lösungsansätze zu erarbeiten. Der nun von dem Pflegenetz Heilbronn e.V. so offen begonnene Dialog zwischen Politik und Praxis soll auch in Zukunft weitergeführt werden. Auf einen zweiten regionalen parlamentarischen Abend kann man durchaus gespannt sein.

Timm Schönfelder